Seit der Invasion der Ukraine im Februar 2022 ist es Unternehmen aus der EU verboten, Luxusgüter oder kritische Produkte nach Russland auszuführen. Diese ganz neue Recherche des Magazins Mit offenen Daten legt die Strategien zum Umgehen der Sanktionen mithilfe von Zwischenhändlern in den Nachbarstaaten Russlands offen.
Unsere Recherche beginnt, als wir uns mit einem Artikel der Brookings-Institution vom 12. September 2024 beschäftigen. Unter Verwendung von Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF) zeigen die Investigativjournalisten, dass die Exporte aus mehreren EU-Ländern nach Zentralasien und in den Kaukasus seit der Invasion Russlands in die Ukraine stark angestiegen sind. Danach boomt der Export so stark, dass es sich mit hoher Gewissheit um „einen Warenumschlag nach Russland“ handeln könnte. Anders gesagt: Waren aus der EU würden erst in diese Drittländer exportiert und dann weiter nach Russland.
Im Lauf unserer Recherchen hierzu stoßen wir auf mehrere russische Websites wie diese hier, die auch erklären, wie man die Sanktionen mithilfe von Zwischenhändlern in Asien umgeht. Auf YouTube finden wir sogar ein Interview mit einem russischen Unternehmer, der ausführt, wie er sanktionierte EU-Waren nach Kasachstan schafft, und sie von dort aus weiterverkauft… nach Russland.
Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine haben die EU-Staaten weitreichende Sanktionen gegen Russland verhängt. Unter anderem dürfen EU-Firmen bestimmte Produkte nicht nach Russland verkaufen. Die Liste der mit einem Embargo belegten Produkte umfasst auch Spitzentechnologien, eine bestimmte Zahl an Double-Use-Gütern (mit ziviler und potenziell auch militärischer Verwendung), Waffen, chemische Produkte, und Produkte, die dazu geeignet sind, die industriellen und militärischen Fähigkeiten Russlands zu stärken. Ebenso betroffen sind Luxus-Waren wie Autos mit einem Wert von über 50 000 €, oder einem Hubraum von über 1 900 Kubikzentimeter.
Import von Luxusautos nach Russland
Mit Suchwörtern wie „europäische Autos Sanktionen“ auf Russisch, stoßen wir über die Suchmaschinen Google bzw. Yandex auf Autohändler, die anbieten, Luxusfahrzeuge nach Russland zu schaffen.
Einer erregt unsere Aufmerksamkeit: Anton Ilievski. Er sitzt in Deutschland und spricht in seinen Videos auf YouTube und Telegram Russisch. Am 9. November 2024 postet er ein Video mit dem Titel: „In diesem Video zeigen wir euch an realen Beispielen die vollständige Lieferung von Autos aus Deutschland nach Russland“. In diesem hier filmt er sich vor einer Ladung hochpreisiger Autos der Marken Porsche und BMW.
Wir untersuchen die Posts seines Telegram-Accounts und stoßen auch auf Videos seiner Kunden mit den Autos in Russland. Drei der Autos, die in Moskau übernommen wurden, können wir geolokalisieren. Verfolgt man Antons Verkaufsanzeigen zurück, lässt sich sogar herausfinden, wo in Deutschland diese Autos gekauft wurden.
Wir kontaktieren sechs deutsche Autohäuser, wo Anton diese Autos angeblich gekauft hat. Sie erklären, über den endgültigen Bestimmungsort der Autos sie seien nicht auf dem Laufenden. Anton Ilievski hat angeblich mehrere Strategien, wie etwa den Kauf von Autos im Namen von Privatpersonen oder Unternehmen mit Sitz in Deutschland und Polen. Mehrere Autohäuser geben an, sie könnten Anton Ilievski rechtlich belangen.
Wir rufen ihn auch unter einer russischen Telefonnummer an und geben uns als Käufer aus. Einer seiner Kollegen bestätigt uns, er könne einen deutschen BMW nach Moskau liefern. Er schlägt uns zwei Lieferwege vor: einen über die Türkei, den anderen über Georgien. Auf seinen YouTube-Videos spricht Anton auch von der Möglichkeit, Autos über Kasachstan zu schleusen.
Einige Tage später kontaktieren wir Anton Ilievski erneut – diesmal als Journalisten - und verlangen Erklärungen. Er sagt: „Wir haben niemals Autos im Verstoß gegen die Sanktionen an Russland verkauft“. Als wir nachhaken und ihn mit unseren Recherchen konfrontieren, bekommen wir keine Antwort mehr.
In Deutschland laufen mehrere Verfahren im Zusammenhang mit illegalen Exporten von Luxusautos nach Russland. Im Dezember 2024 bestätigt der BMW-Konzern den Verkauf von 100 Luxusautos an russische Käufer – trotz geltender Sanktionen – über die Website eines Autohauses mit Sitz in Hannover. Die Mitarbeiter, die in den Fall verwickelt waren, werden nach einer Pressemeldung von BMW, zu lesen in der deutschen Presse, entlassen.
Der Fall Werkzeugmaschinen
Bei unseren Recherchen zur Umgehung von Sanktionen finden wir auch heraus, dass Werkzeugmaschinen, besonders aus der EU, weiterhin über den Kaukasus oder Zentralasien nach Russland gelangen. Nach Recherchen eines deutschen Mediums wurden 2023 über 300 Industriemaschinen des Typs „CNC“ (mit Digitalsteuerung) nach Russland importiert.
Diese dienen zur Fertigung von Metallteilen und sind bei der russischen Verteidigungsindustrie hochgefragt. Auch sie fallen unter die EU-Sanktionen. Im Februar 2024 setzt die EU sie gar auf eine „Liste hoch prioritärer Güter“, damit diese Sanktionen nicht umgangen werden.
Zolldaten
Für wen werden diese Werkzeugmaschinen mit dem Ziel Russland gefertigt? Um dies herauszufinden, recherchieren wir über mehrere Wochen hinweg auf Handelsdatenbanken zu „HS CODE“, ein Code der Zollbehörden zur Zuordnung von Waren auch nach Exportland.
Wir nutzen mehrere Handelsdatenbanken, vor allem Volza, Tradeindata, Export Genius bzw. Trademo. Bei diesem Schritt überprüfen und reproduzieren wir die Zolldaten, auf die wir Zugriff haben.
Der Fall FPT INDUSTRIE
Bei unseren Recherchen zu Werkzeugmaschinen beschäftigen wir uns ganz besonders mit einer Messe, die alljährlich in Moskau stattfindet: die „Металлообработка“. Dort stellen die größten Werkzeugmaschinen-Hersteller aus. Im Katalog, Ausgabe 2021, von vor der Ukraine-Invasion, sind noch mehrere EU-Unternehmen mit von der Partie. 2024 hingegen ist nur noch ein einziges EU-Land vertreten: Italien, vor allem mit dem Werkzeugmaschinen-Hersteller FPT INDUSTRIE.
In einem Blogartikel, einem Kurzbericht zur Messe von 2023, steht: „Früher nahmen die meisten der größten Hersteller von Geräten zur Bearbeitung von Metallteilen direkt an den Messen zur Metall-Bearbeitung teil. Mit den neuen Sanktionen hat sich die Situation in den letzten Jahren radikal verändert.“ Der Autor des Artikels gibt aber an, FPT INDUSTRIE sei auf der der Messe 2023 vertreten gewesen.
Im Artikel ist ein Foto des Messestands von FPT INDUSTRIE abgebildet. Wir finden auch ein zweites, ebenfalls von 2023, auf Instagram. Auf beiden Fotos stellen wir fest, dass das Unternehmen große Schilder mit Fotos ihrer Maschinen besitzt. Diese Maschinen haben wir mit jenen im Produktkatalog von FPT INDUSTRIE verglichen.
Eine dieser Maschinen ist zum Beispiel „DinoWide“: eine Vertikalfräse, deren Einsatzbereiche nach der Website von FDP Industrie die Energiebranche, der allgemeine Maschinenbau, die Öl- bzw. Gasindustrie, Erdarbeiten, Schiffsbau sowie die Verteidigung sind. Den Zollcode dieser Maschine finden wir über die Datenbank Import Genius und stellen fest, dass 2024 eine „DinoWide“ mit dem HS Code 845931 in die USA ging. Dieser Code entspricht dem von Metallbohr- und -fräsmaschinen. Der HS Code „8459“ steht seit Februar 2023 auf der Warensanktionsliste. Er fällt unter Paragraph 3k wonach: „es […] verboten [ist], (…) Güter, die insbesondere zur Stärkung der industriellen Kapazitäten Russlands beitragen könnten, unmittelbar oder mittelbar an natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Russland oder zur Verwendung in Russland zu verkaufen, zu liefern, zu verbringen oder auszuführen.“
In mehreren Handelsdatenbanken stoßen wir auf eine FPT INDUSTRIE-Maschine, die im Februar 2024 über ein Import-/Export-Unternehmen mit Sitz in Kasachstan nach Russland ging. Der HS CODE ist „845891209“. Doch alle Produkte beginnend mit dem Code „8458“ sind seit Februar 2023 von den Sanktionen betroffen. Der Code 8458.91 steht sogar auf der Liste hoch prioritärer Güter, die die EU im Februar 2024 online gestellt hat, damit diese Sanktionen nicht umgangen werden.
Wir beschäftigen uns mit dem kasachischen Unternehmen LLC Genius Loci, das mit dem Export zu tun hatte. Auf seiner Website bietet es die Kooperation mit ausländischen Lieferanten an, um deren Produkte auf den russischen Markt zu bringen. Wir kontaktieren LLC Genius Loci unter zwei Telefonnummern von der FirmenWebsite und verlangen Erklärungen zu der im Februar 2024 nach Russland importierten Maschine. Eine Antwort erhalten wir nie.
Wir schicken mehrere Mails an FPT Industrie und fordern das Unternehmen mehrfach auf, uns den Empfang unserer E-Mail zu bestätigen. Wir stellen zwei Fragen: Wie erklärt sich vor dem Hintergrund der EU-Sanktionen gegen Russland der Export dieser Maschine im Februar 2024 aus Italien nach Russland? Wie erklärt sich die Teilnahme des Unternehmens an einer Metallurgie-Messe in Russland, wo es von den Sanktionen betroffene Geräte ausstellt?
Wir erhalten keine Antwort.
Die ebenfalls von uns zu diesem Thema kontaktierten italienischen Zollbehörden antworten: „Der von ihnen angeführte Fall wird von unserer Behörde untersucht, wir können diesbezüglich keinerlei Informationen herausgeben.“
Die SPINNER-Maschinen
Danach beschäftigen wir uns mit einem weiteren Zoll-Datensatz: Am 5. September 2023 wird eine Maschine der deutschen Marke SPINNER, Modell PD42 mit der Seriennummer ad3057 aus Deutschland an einen usbekisches Unternehmen versandt: Vital Technology. Dann, am 18. September 2023, wird eine SPINNER PD42 mit derselben Seriennummer von einem Unternehmen namens Climatic Group von Usbekistan aus nach Russland exportiert.
Der HS CODE, den wir auf den verschiedenen Zolldaten der Handelsdatenbanken für diese Maschine sehen, lautet: 84581120. Alle „8458“-Produkte sind seit Februar 2023 von den Sanktionen betroffen (cf. Paragraph 3k).
Wir stellen auch Recherchen zu den usbekischen Unternehmen Vital Technology und Climatic Group an, die die Maschine nach Usbekistan importiert und sie nach den Zolldaten angeblich nach Russland weiterexportiert haben. Uns fällt auf: Sie haben dieselbe Adresse und zwei gemeinsame Geschäftsführer.
Wir kontaktieren das deutsche Unternehmen SPINNER. Es versichert uns, die Maschine habe Usbekistan nicht verlassen, man besitze Dokumente, die dies beweisen. Wir können die Dokumente vor Ort bei SPINNER einsehen. Eine Kopie der Dokumente anfertigen oder sie fotografieren dürfen wir nicht, nur von Hand abschreiben.
Für unsere Sendung haben wir die Dokumente mithilfe unserer handschriftlichen Notizen reproduziert. Die Dokumente, die wir einsehen konnten, waren nicht handschriftlich.
Um die Dokumente zu überprüfen, rufen wir mehrere Beschäftigte der Landmaschinenfabrik in Taschkent an – das als Endnutzer der Maschine angegebene Unternehmen – und deren Mutterhaus Agro Tech Kluster. Der Buchhalter der Landmaschinenfabrik in Taschkent und der Generaldirektor von Agro Tech Kluster versichern uns beide, sie hätten keine SPINNER-PD42-Maschinen gekauft. Sie bestätigen uns auch, dass ein Herr Payanov B.ZH, dessen Unterschrift auf den Dokumenten stand, nicht mehr für das Unternehmen arbeitet. Das bestätigt ein offizielles Schreiben im usbekischen Unternehmensregister – es kündigte seinen Ausstieg im Jahr 2021 an. Direkt kontaktieren konnten wir Herrn Payanov B.ZH nicht.
Die Dokumente, die wir dem Unternehmen SPINNER vorlegen, hat uns der usbekische Zwischenhändler Vital Technology geliefert. Wir wollen Erklärungen – per E-Mail und per Telefon. Geantwortet hat uns das Unternehmen nicht.
Climatic Group, das den Zolldaten zufolge die Maschine nach Russland exportiert hat, hat ebenfalls nicht auf unsere E-Mails reagiert.
Zu den europäischen Sanktionen:
Berichte Brookings Institution:
- Transshipments from the EU to Russia (Brookings Institution, 12/09/2024)
- Transshipments from Germany to Russia (Brookings Institution, 26/09/2024)
- EU seeks to stop Russia’s imports of western luxury cars via Belarus (Financial Times, 22/05/2024)
- Brand new luxury British and European cars are entering Russia despite being banned - here's how (Sky News, 25/09/2024)
- Verkauf von Autos nach Russland, trotz der Sanktionen: das Urteil (MOZ, 27/09/2024)
- Staatsanwaltschaft Würzburg und Zollfahndung Essen gehen gegen Embargoverstoß mit Luxusautos vor (Justiz in Bayern, 18/09/2024)
- Unerlaubte Ausfuhr nach Russland in Millionenhöhe aufgedeckt (ZOLL, 28/06/2024)Zu den Werkzeugmaschinen
- How does Russia make missiles? (Rhodus intelligence report)
- Deutsche Maschinen für Russlands Militär (SWR, 10/10/2024)
- Common High Priority Goods − Who still trades CNC machine tools with Russia (S&P Global, 12/08/2024)
- How Russia Imports Machinery for Arms Production and Can It Be Stopped (Istories media, 17/04/2024)
Zum Unternehmen SPINNER