Teil 1: Die Mongolei - Opfer seines Erfolgs mit Kaschmir
Anfang 2024 wurden wir auf einen Artikel von Ginger Allington, einer Professorin für Landscape Ecology an der Universität Cornwell und Expertin für mongolische Weidelandschaften aufmerksam, der im Dezember 2023 in der New York Times erschien: “This Holiday, Consider the True Cost of Cheap Cashmere”.
Darin verweist die Wissenschaftlerin darauf, dass die steigende Nachfrage nach Billig-Kaschmir das ökologische Gleichgewicht in der Mongolei erheblich beeinträchtigt.
Wie eine jüngste Studie im Auftrag der EU-Kommission bestätigte, produziert das Land nach Angaben des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen fast 40 % des weltweit gehandelten Rohkaschmirs (in den letzten drei Jahren lieferte es 36 bis 38 %).
Diese Faser wird aus dem Unterhaar der Ziegen gewonnen, die von nomadischen oder halbnomadischen Viehzüchtern gehalten werden, wobei die Zahl der Tiere in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat. Die Daten können auf der Website des mongolischen Statistikamts eingesehen werden: https://www.1212.mn/
Wenn die Weidelandschaften, von deren Gras sich die immer zahlreicheren Ziegen ernähren, keine Zeit haben sich zu regenerieren, spricht man von Überweidung. Dieses Phänomen wird durch die Fressgewohnheiten der Ziegen noch verstärkt. Laut Experten wie Ginger Allington reißen die gefräßigen Ziegen das Gras mitsamt den Wurzeln heraus, was dazu führt, dass es umso schwerer nachwachsen kann.
Zur Messung des Überweidungsphänomens hat die mongolische Regierung mehrere satellitengestützte und fotografische Überwachungsinstrumente eingeführt (https://egazar.gov.mn/). Wir verwenden für diesen Beitrag das folgende: https://dss-mongolia.org/en/home. Damit kann man beispielsweise die Gegenden ausmachen, die von dieser Überweidung betroffen sind. Für einen optimalen Vergleich der Satellitenbilder sollte möglichst jedes Jahr das gleiche Datum und der gleiche Zeitpunkt im Sommer (hier August) gewählt werden. So lässt sich ausschließen, dass die Satellitendaten durch eine eventuelle Schneedecke verfälscht werden.
Die Überweidung führt zu einer Bodenerosion und einer rapiden Wüstenbildung des Landes. Bereits 2003 warnte ein Bericht der Weltbank: „Es lässt sich ein zunehmendes Spannungsfeld zwischen dem Umweltschutz und der Generierung von Einkommen mit der Zucht von Kaschmirziegen beobachten (...) Alles deutet darauf hin, dass der gegenwärtige Umfang der einheimischen Ziegenherden in absehbarer Zeit seine Höchstgrenzen erreicht hat". Und doch hat sich die Anzahl der Ziegen zwischen 2003 und heute verdoppelt… (Quelle: https://documents1.worldbank.org/curated/en/892921468123890417/pdf/262400ENGLISH0rev0MG0Cashmere01PUBLIC1.pdf )
Es wurde bereits auf einen Bericht des IWF von 2019 verwiesen, der sich auf die Arbeiten zahlreicher Wissenschaftler stützt und noch einen Schritt weiter geht. Demnach ist die Mongolei von den Auswirkungen des Klimawandels besonders stark betroffen ist (die Erderwärmung schreitet hier doppelt so schnell voran wie in der übrigen Welt). Dies führt zu einer Beschleunigung der Versteppung.
Wie uns mehrere Spezialisten bestätigten, mit denen wir gesprochen haben, lässt sich dieses Phänomen nur schwer in Bildern darstellen. Der Prozess der Wüstenbildung ist nicht nur mit bloßem Auge erkennbar, denn die Wüste Gobi bedeckt ein Drittel der Mongolei. Die Entwicklung lässt sich besser messen, indem man analysiert, wie sich die Pflanzenarten und die Vegetationsdecke verändern. Das Bild, das wir zur Illustration dieses Phänomens verwenden, wurde von einem Ziegenzüchter aufgenommen. Er wollte zeigen, dass das Gras am selben Ort zur selben Jahreszeit in seiner Kindheit sehr viel höher stand.
Die Auswirkungen der Wüstenbildung sind allerdings deutlich zu erkennen, denn durch die Bodenerosion kommt es zu etlichen Naturkatastrophen. Nach Angaben der mongolischen Regierung (zitiert nach Bloomberg, aus dem Englischen) und der UNO haben sie sich in nur wenigen Jahrzehnten verdoppelt. Zu diesen Naturkatastrophen zählen vermehrt Überschwemmungen, Sandstürme und heftigere „Dsuds“. Bei diesen Extremwetterbedingungen mit brütend heißen Sommern und eiskalten Wintern sterben Millionen geschwächter Tiere an Kälte und Nahrungsmangel. So verendeten 2024 sieben Millionen Tieren. Das entspricht 10 % des einheimischen Viehbestands.
Hierbei ist zu anzumerken, dass auch andere Faktoren zur Bodenerosion in der Mongolei beitragen können wie der Bau von Straßen, Tagebau oder die Naturkatastrophen selbst, die einen Teufelskreis auslösen.
In dem Bericht im Auftrag der EU-Kommission von August 2024 stellten Experten außerdem fest, dass bei der Kaschmirproduktion große Mengen von CO2 erzeugt werden. Das stellt eine weitere Umweltbelastung dar.
Teil 2: Zurückverfolgung bis zu den Modemarken
Zu Beginn unserer Untersuchung haben wir nach Marken gesucht, die als Herkunftsland ihrer Kaschmirwolle die Mongolei angeben. Doch dann mussten wir feststellen, dass nur wenige Marken überhaupt die Herkunft ihrer Wollfasern ausweisen. Andere wiederum wählen eine zweideutige Bezeichnung: die Innere Mongolei, eine Region in China.
Unter den Fast-Fashion-Marken, die eindeutig auf die „Mongolei“ verwiesen, war auch Mango, deren Produkte laut eigener Aussage „zu 100 % aus Kaschmirwolle der Mongolei hergestellt“ sind. Nachdem unsere Redaktion das Recht auf Gegendarstellung bei Mango geltend machte, entfernte die spanische Marke die Bezeichnung von einigen ihrer Artikel.
Um in diesen undurchsichtigen Markt vorzudringen, führten wir eine verdeckte Recherche durch, indem wir uns uns als europäische Textilimporteure ausgaben. Wir entwarfen ein Logo und täuschten mit fiktiven Kontaktadressen eine große Belegschaft vor, um den Anschein zu erwecken, wir seien ein wichtiges Branchenunternehmen.
In zahlreichen Berichten wird darauf hingewiesen, dass der Großteil der mongolischen Kaschmirwolle von den Züchtern roh oder fast roh an chinesische Zwischenhändler oder mongolische Unternehmen verkauft wird, die es dann nach China exportieren. Daher versuchten wir, mongolische Genossenschaften ausfindig zu machen, die ihr Kaschmir an Exportfirmen verkaufen. Außerdem wollten wir chinesische Zwischenhändler kontaktieren, die Kaschmirwolle direkt von den Züchtern oder den Genossenschaften kaufen. Unsere Bemühungen waren leider vergeblich.
Fast alle Exportfirmen erklärten uns, sie würden ihr Kaschmir nach China und Europa, insbesondere nach Italien, schicken.
Obwohl China 50 bis 60 % des weltweit gehandelten Kaschmirs produziert, decken sich chinesische Unternehmen nach wie vor mit mongolischem Kaschmir ein, und zwar wegen seiner Farbe. Chinesische Ziegen sind nämlich aufgrund von genetischen Kreuzungen fast ausnahmslos weiß, wohingegen das Fell der mongolischen Ziegen unterschiedliche Farben annehmen kann, vor allem dunklere Naturtöne. Aus diesem Grund wurde dieses Detail auch von Shandong Dashing Cashmere erwähnt, als wir sie kontaktierten.
Bei unseren Recherchen hat uns der Fall Consinee besonders interessiert. Das Unternehmen stellt Spulen für renommierte Luxusmarken sowie für die Fast Fashion-Branche her. Das geht aus dem „Business Partner“-Katalog hervor, den uns die Handelsvertreterin zugeschickt hat. Unter den dort aufgeführten Marken befand sich auch Hugo Boss.
Wir wollten herausfinden, wo diese Spulen landeten. Zu diesem Zweck haben wir uns die Hauptkonfektions- bzw. Herstellungsländer angeschaut, die von den Marken angegeben wurden. Das waren Vietnam und Kambodscha. Mit den genauen Zolltarifnummern haben wir dann in den Import-/Export-Datenbanken recherchiert, bevor wir uns genauere Daten beschafft haben.
Wir haben diese Daten auch mit den Unterlagen verglichen, die uns die Marken von sich aus zur Verfügung gestellt haben wie beispielsweise Listen mit den Stofflieferanten oder Produktionsstätten. Diese Dokumente sind auch auf der kollaborativen Plattform Open Supply Hub zu finden. Jedes Mal, wenn eine Partnermarke einen Zulieferer nennt, werden die Daten auf dieser Plattform als Open Source gespeichert.
Als wir die Ergebnisse unserer Untersuchung Fast Retailing vorlegten, antwortete uns das Unternehmen, dass seine Mitarbeiter die Zuchtfarmen besuchten, von denen es das Kaschmir bezieht. Einem Artikel von Nikkei Asia zufolge, der im Februar 2024 erschien, besuche das Stammhaus von Uniqlo „die Zuchtfarmen nur ein- bis zweimal pro Jahr“. Was die Satellitenbilder betrifft, haben uns die für das Projekt in Japan zuständigen Wissenschaftler trotz mehrmaliger Aufforderung nie geantwortet oder uns irgendwelche Studien zukommen lassen.
Der von Hugo Boss beanspruchte „Good Cashmere Standard“ gilt heute nur noch für Kaschmir aus der Inneren Mongolei. Auf seiner Website gibt das Label an, 2200 Tonnen Kaschmir im Jahr 2023 und 1900 Tonnen im Jahr 2022 zertifiziert zu haben. Aufgrund unterschiedlicher Berechnungen stimmen die Zahlen von Textile Exchange nicht mit denen des Labels überein. Wir haben uns für die Zahlen von Textile Exchange entschieden, denn sie ermöglichen einen Vergleich mit der Gesamtmenge der weltweiten Kaschmirproduktion von 26 000 Tonnen.
Teil 3: Das Label SFA
Das bekannteste Qualitätssiegel für Kaschmir, das viele Marken für sich beanspruchen, ist SFA. Es steht für Sustainable Fibre Alliance. Das Siegel wird gerade überarbeitet, da es in letzter Zeit heftig kritisiert wurde, sowohl von der NGO PETA wie auch von einigen mongolischen Kaschmir-Akteuren, die im Bericht der EU-Kommission erwähnt wurden und es als zu „deklaratorisch“ einstuften.
Dennoch zertifiziert das Siegel SFA weiterhin Zuchtbetriebe, wie aus seinen “Highlights” von 2022 hervorgeht. Auf seiner englischen Homepage wird nach den neuesten Informationen für April 2025 eine Neufassung angekündigt.
Zur Ermittlung der endgültigen Zahl, der zufolge der Weltmarkt für Kaschmirbekleidung auf die 4 Milliarden US-Dollar-Marke zusteuert, d. h. 25 % mehr als heute, haben wir verschiedene Quellen gefunden, (Skyquest, Fortune Business Insights, Grand View Research, et The Brainy Insights) die alle unterschiedliche Berechnungsmethoden verwenden. Daraus geht hervor, dass die Kaschmirproduktion weiterhin um fast 6 % pro Jahr zunehmen und der Markt bei der aktuellen Wachstumsrate bis 2030 ein Volumen von rund 4 Milliarden US-Dollar erreichen soll. Das würde einen Anstieg von 25 % im Vergleich zu heute bedeuten.
Weiterführende Informationen: